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Treffpunkt Konjugation

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Index » Sonstiges » Sprachschutz und Modernismuskritik - Ideologie in Sprach - und Kulturpflege
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Anrheiner

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Beigetreten: 26/06/2010 18:38:22
Beiträge: 52
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Verwahrlosung, Dekadenz und was weiß ich nicht noch alles ist das Hausthema von Kulturpessimisten (oder sollte man Angesichts des Folgenden besser sagen, Gegenwartskritiker) aller Couleur. Wir kennen sie als Figur der Eva Herman, die den Sittenverfall beklagt und die LoveParade-Katastrophe als eine Art göttliches Strafgericht ansieht, in Person mancher Linker, die in modernen Errungenschaften und der Unterhaltungsindustrie insofern Teufelszeug sehen, als dass sie dahinter den Sinn vermuten das Volk dumm und harmlos zu halten. Und vielleicht findet das eine oder andere dieser blinden Hühner auch mal ein Korn (und der eine oder andere von diesen Kulturkritikern hat auch mal recht), aber das macht sie nicht weniger zu blinden Hühnern.

Nicht nur, dass sich ausgerechnet auf dem Kulturgebiet Links - und Rechtsextremisten beinahe die Hand reichen spricht Bände, sondern auch das Denken, das dahinter steht.

Wer auf den Sieg des Sozialismus hofft, kann nicht umhin es mit Karl Marx zu halten, einem der prominentesten Vertreter des linken Hegelianismus. Die Geschichte wird in einem dialektischen System betrachtet, in dem die politischen Systeme und gesellschaftlichen Entwicklungen sowie technischen Innovationen, einander ablösen und beantworten mit dem Ziel des Sozialismus, der wahren Demokratie - der Diktatur des Proletariats. Mittel des Fortschritts ist die mehr oder minder friedvolle Revolution. Man kann nun gegen Marx einiges ins Felde führen, etwa das Argument, dass er als Idealist, die Geschichte von ihrem Ende her liest. Das Ende, das Ziel, das Ideal (daher Idealismus) ist aber noch gar nicht eingetreten. Wenn ich aber behaupte es zu kennen, so fällt es natürlich leicht die Geschichte in meinem Sinne zu interpretieren. Zum Anderen ist der Mensch für Marx ein Wesen mit einer Doppelnatur, das einerseits Naturwesen ist, andererseits über die Natur herrschen kann, um seine Zwecke zu verwirklichen und dadurch autonom zu werden. Dies Verhältnis zeigt sich in der Arbeit, durch die der Mensch seine Möglichkeiten entwickelt und verwirklicht - durch sie schafft der Mensch Geschichte, ist er Schöpferisch. Er entäußert sich dadurch, dass er ein bestimmtes Produkt erzeugt, legt seine Tätigkeit ist das Produkt und eignet sich umgekehrt Natur an, die er bearbeitet. Wenn nun Produkt und Produktionsmittel jemand anderem gehören, so handelt es sich nach Marx nicht mehr um einen bloß äußeren Gegenstand, sondern um einen ihm fremden Gegenstand, so dass das Produkt die Herrschaft über den Arbeiter gewinnt. Die Tätigkeit richtet sich gegen den Arbeiter. Die so beschriebene Entfremdung ist auch soziale Wirklichkeit, da die Menschen sich nur über fremde Produkte zueinander verhalten. Aus der ökonomischen Wirklichkeit, die Marx analysiert hat folgert er, dass sie sich nur über Änderung der Produktions - und Arbeitsverhältnisse verbessern lässt. Mittel, ist hier wieder eine Revolution - mit oder ohne Gewalt - um den Schritt zum Sozialismus zu vollziehen. Jedoch kann man gegen diese Sicht des Menschen anführen, dass Marx den Menschen betrachtet, insofern er Arbeiter und nicht insofern er Mensch ist - er reduziert den Menschen auf die Arbeit (der Kapitalist betrachtet ihn auch nicht anders).
Interessant für das Thema ist aber insbesondere das idealistische Moment: Wenn ich ein ideales Ziel habe, so habe ich auch eine bestimmte Vorstellung davon, wie dieses Ziel ausschaut und kann dementsprechend verteufeln, was diesem Ziel nicht entspricht. Ich bin ja gerechtfertigt, da mein Ziel ein zu erreichender Idealzustand ist.

Anders sieht es im konservativen Lager aus. Der Konservative hat „sein Ideal schon erlebt“, es ist ein Zustand in der Geschichte der möglichst lange erhalten bleiben soll – das goldene Zeitalter. Dementsprechend lehnt er ab, was von den Zuständen in diesem goldenen Zeitalter wegstrebt.

Dass dieses goldene Zeitalter als Ideal bezeichnet wird, weist bereits auf das, was folgt, nämlich das Streben nach Restauration des goldenen Zeitalters – vielleicht in einer variierten Form – nachdem man diagnostiziert hat vom „rechten Weg“ abgewichen zu sein und ihn „zurückzugewinnen“ versucht (in dem man äußere oder vermeintliche äußere Einflüsse auszuschalten versucht). Womit wir in das Fahrwasser des Rechtsextremismus geraten. Dabei sind folgende Punkte zu beachten:
- Das Ideal ist wieder Zielpunkt der Geschichte
- Das Ideal hat bereits vorgelegen
- Das Ideal ist bekannt
- Das Ideal muss nur der Gegenwart angepasst werden.
Problem:
- Das goldene Zeitalter war seinerseits zeitspezifisch. Es hätte zu anderen Zeiten unter anderen Voraussetzungen womöglich völlig anders ausgesehen.
- Das goldene Zeitalter ist nur bekannt im Rahmen der Wahrnehmung des Betrachters, er erhält nur die Einblicke, die er beachtet und sieht daher zwangsläufig nur einen Ausschnitt. Der Historiker, sofern er etwas taugt weiß das, der Ideologe blendet diesen Sachverhalt bewusst oder unbewusst aus.
- Das goldene Zeitalter war schon da, aber es war nicht so da, wie wir es kennengelernt haben – da wir es zwangsläufig idealisieren und damit unseren Erkenntnishorizont bewusst einschränken.

Die Frage, die ich mir angesichts der Aktionen und Ansichten mancher Sprachschutzorganisationen stelle, ist die, ob man sich hier nicht schon jenseits der Grenze zur Paranoia bewegt.
Wenn die Sprache sich an der Lebenswirklichkeit eines Volkes entwickelt und diese widerspiegelt, so muss die Sprache sich ändern/ geändert werden und auf diese Veränderung der Lage reagieren, wenn sich die Lebenswirklichkeit der Gemeinschaft, die sich in ihr ausdrückt, ändert. Ein mögliches Mittel hierzu ist die Findung neuer Worte, ein anderes Mittel ist die Übernahme von Worten anderer Sprachen, wie dies in der Geschichte schon sehr oft geschehen ist.

Darauf aufbauend ergeht die Frage in die Runde, was ist daran so schlimm Worte aus dem Englischen zu entlehnen? Oder, anders bis zu welchem Punkt ist es gerechtfertigt?
Letztlich frage ich mich, inwieweit Sprachschutz (und ich rede nicht von Sprachpflege im Sinne von dem Bemühen um den Gebrauch guten Deutsches) als Kulturkritik, möglich ist, ohne in ein ideologisches Fahrwasser zu geraten?

This message was edited 1 time. Last update was at 30/07/2010 11:17:25


"Es stimmt: Eine Grille arbeitet nicht. Aber eine Ameise kann auch nicht singen."
Unbekannt
aus: Eduardo Galeano: Die Füße nach Oben
AnderAgger

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Beigetreten: 30/07/2010 14:34:14
Beiträge: 43
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Die Entlehnung von Wörtern aus dem Englischen ist ja schon längst abgeschlossen.

Allerdings dürfte dem aufmerksamen Zeitgenossen kaum entgangen sein, dass zur Zeit viele Wörter aus dem Arabischen in den deutschen Sprachraum drängen, verbreitet von deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die zum Islam übergetreten sind.

Noch handelt es dabei um eine Randerscheinung, die aber sehr deutlich in Erscheinung tritt und sich sehr aggressiv zu verbreiten sucht; mit stetigem Erfolg.

Was dies auf Dauer für Einfluss auf den Erhalt der deutschen Sprache bedeutet, wage ich nicht vorauszusehen.

[WWW]
Anrheiner

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Beigetreten: 26/06/2010 18:38:22
Beiträge: 52
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Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich damit kein großes Problem (was nichts damit zu tun hat, dass ich die Gefahr nicht sehe, die gewisse Geisteshaltungen religiöser oder säkularer Natur für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung bedeuten - das hat aber nichts mit der Sprache an sich zu tun). Auch nicht bzgl. der arabischen/ orientalischen Kultur grundsätzlich - auch wenn die Extreme von sinnlicher Schönheit und der Fratze roher Gewalt sicher nirgends so extrem sind.

Als guter säkularisierter Katholik weiß ich, dass es ohne die muslimischen Araber bzw. Perser (Averroes, Avicenna etc.) keinen einzigen Scholastiker gegeben hätte - die darauf aufbauende Aufklärung wäre so nie zu Stande gekommen.

Ist es nicht so, dass jede hier lebende Volksgruppe, jede Kultur, die hier ihre Spuren hinterlassen hat, die Sprache und Kultur ein wenig mitgestaltet hat? Wenn ich es mir überlege, dass im 19. Jhd. Hunderttausende polnischer Bauern samt Sprache im Ruhrgebiet integriert werden mussten...

Es kommt zu einer Sprachveränderung, Sprachentwicklung, vielleicht durch den kulturellen Einfluss aus dem Orient (was sich allein durch den Anteil hier lebender Exponenten des Kulturraumes ergeben dürfte), vielleicht durch den von jenseits des Atlantiks, m. E. hängt es zu einem Gutteil davon ab, ob und wie diese Sprachfetzen in das Deutsche integriert werden - ich denke niemanden, der bislang vor den Kadi gezogen ist stört es, dass dies Wort dem Arabischen entlehnt ist.

"Es stimmt: Eine Grille arbeitet nicht. Aber eine Ameise kann auch nicht singen."
Unbekannt
aus: Eduardo Galeano: Die Füße nach Oben
 
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